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Die Geister, die ich rief ...

Einst galt Asbest als Wunderstoff für viele Anwendungen auf dem Bau. Die mineralischen Fasern widerstehen Feuer und Säuren. Doch wer die winzig kleinen Partikel einatmet, riskiert, ernsthaft krank zu werden. Daher gilt bei Umbauten besondere Vorsicht.

Text: Stefan Hilzinger / Veröffentlichung SchreinerZeitung 14. September 2023 / Ausgabe 37/2023

«Eigentlich» ist ein gefährliches Wort. Denn eigentlich wissen alle, die auf dem Bau tätig sind, dass Asbest krank macht. Und eigentlich wissen alle, dass bei Umbauten von älteren Gebäuden mit Bauschadstoffen gerechnet werden muss. Doch auf «eigentlich» folgt nur zu oft ein «aber». «Aber wir können doch jetzt keine Verzögerung riskieren.» «Aber das bringt doch nur Mehrkosten.» «Aber so schlimm wird’s nicht sein.» Und dann rasch zur «Hilti» gegriffen und zack, weg mit den paar Plättli in Küche oder Bad. Dabei: Wer die mikroskopisch kleinen, unsichtbaren Fasern einatmet, riskiert ernsthaft, krank zu werden – auch mehr als 30 Jahre nach dem Verbot der mineralischen Fasern. Davon ist beispielsweise in der jüngsten Ausgabe des Mitteilungsblattes der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (Ekas) vom April nachzulesen. Die Schweiz war 1990 eines der ersten Länder, das die Verwendung von Asbest untersagte. Doch weil die möglichen Schädigungen bis hin zu tödlichen Krebserkrankungen meist erst 30 bis 40 Jahre nach dem Einatmen auftreten, steigt die Zahl der Todesfälle durch Asbest laut Suva noch bis 2030 an. Diese Fälle erklären sich quasi zwangsläufig aus der Geschichte mangels besseren Wissens über die Asbestgefahr.

Vermeidbar sind jedoch alle Fälle, die sich seit dem Verbot aus fahrlässigem Umgang mit dem Stoff bei Umbauten oder Rückbauten ergeben. Denn: In Gebäuden, die vor 1990 erbaut wurden, ist mit Bauschadstoffen zu rechnen.

Rufer in der Wüste

«Wer auf dem Bau auf mögliche Altlasten wie Schwermetalle oder eben Asbest hinweist, macht sich in der Regel keine Freunde.» Das sagt Daniel Beniczky. Er ist bei der Ardüser Schreinerei AG in Davos GR primär für EDV und IT zuständig, seit einigen Jahren auch der Ansprechpartner für Asbest. Mangelndes Bewusstsein und fehlende Sensibilität für die Problematik stellen auch die Expertinnen und Experten der Suva und der Ekas fest. So schreibt etwa Ekas-Geschäftsführerin Carmen Spycher im erwähnten Mitteilungsblatt: «Nach wie vor sind sich viele Personen, die mit Asbest in Berührung kommen, nicht bewusst, welches Risiko sie mit einer ungeschützten Asbestexposition eingehen.»

Aktuell ist bei Ardüser gerade der Umbau einer Ferienwohnung in Planung, wovon während der Hochkonjunktur zwischen 1960 und 1980 in Davos besonders viele entstanden sind. Ende der 1970er-Jahre erreichte der Import von Asbest in die Schweiz seinen Höchststand. «Generell empfehlen wir aber ganz klar, alles zu testen, was vor 1992 entstanden ist», sagt Paul Ardüser. Er führt die bald 100-jährige Schreinerei mit 20 Angestellten in der dritten Generation.

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Wer hier einfach drauflosspitzt, riskiert, Asbestfasern einzuatmen, die bei der Arbeit ausdem alten Kleber freigesetzt werden. Bild: Suva

Asbestschnur unter dem Kochfeld

Bei einem Rundgang zeigt Beniczky auf die Stellen, wo er Proben entnommen hat. Die Löcher sind mit gelbem Tape abgeklebt. Ein Aufkleber warnt davor, hier in die Substanz einzugreifen, bevor das Resultat der Untersuchung bekannt ist. Begehung und Beprobung stehen für ihn am Anfang jedes Umbauprojektes. Denn Asbest kann überall stecken. In der kleinen Küche weist er auf den schon etwas älteren Glaskeramikherd. «Kochfelder sind häufig auf Bändern oder Schnüren aus Asbest gelagert.»

Es gibt grob zwei Arten, wie Asbest verarbeitet wurde: festgebunden und schwachgebunden. Unter festgebunden fallen Eternitplatten, Blumentöpfe, harter alter Fensterkitt und so weiter. Solcher Asbest kann gemäss der Suva mit entsprechenden Massnahmen am Stück entfernt werden.

Bei allem schwachgebundenem Asbest wie etwa den erwähnten Schnüren unter dem Herd oder weichen Asbestplatten (sehen aus wie weicher Karton), Fussbodenrücken wie Cushion-Vinyl etc. sieht es laut Beniczky anders aus: Die Entfernung und Bearbeitung ist ausschliesslich Suva-zertifizierten Unternehmen vorbehalten. Denn Fasern werden schon bei Vibrationen freigesetzt. Beniczky macht deutlich: «Asbest wurde in mehr als 3500 Produkten eingesetzt.» Detaillierte Informationen, welche Bauschadstoffe wo in Gebäuden und Geräten vorkommen können, finden sich auf der Website www.polludoc.ch.

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Gerade alte Küchen sind Wundertüten, was Bauschadstoffe angehen. Bild: Renato Haller

Unternehmer stehen in der Pflicht

Zwar ist letztlich die Bauherrschaft für den korrekten Umgang mit möglichen Bauschadstoffen verantwortlich, doch auch die Unternehmer stehen in der Pflicht, insbesondere ihren Angestellten gegenüber. «Wir sind verpflichtet, über die Problematik aufzuklären, sowohl gegenüber der Bauherrschaft als auch gegenüber den anderen Gewerken», sagt Beniczky. Zur Aufklärung gehört auch, etwa die Kosten für Proben und Analysen schon in der Offerte auszuweisen und darin auch auf mögliche Mehrkosten im Falle einer Sanierung hinzuweisen. Was die Mehrkosten angeht, relativiert Beniczky: «Ein behördlicher Baustopp, weil das Problem ignoriert wurde, ist sicherlich teuer.» Ardüser verrechnet pro Probe 200 Franken, inbegriffen sind Anfahrt, Beprobung, Dokumentation, Datenerfassung, Porto und Verpackung sowie das Übermitteln der Resultate per E-Mail. Laut Beniczky dauert eine Analyse 36 Stunden ab Anlieferung ins Labor. «Notfalls kann eine Probe in zwei Stunden analysiert werden.»

Auch Renato Haller aus Reiden LU hat sich in seiner Firma «Handwerk vom Feinsten» als Schreiner und Bauleiter mit der Problematik auseinandergesetzt. «Ich habe ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass sich viele der Gefahr durch Asbest nicht bewusst sind», sagt Haller.

Daher sei eine Begehung und Beprobung das A und O. Je mehr man über die Geschichte des Hauses wisse, umso besser. «Wichtig ist aber auch, dass die Abklärungen durch eine seriöse Firma gemacht werden», ergänzt Haller. Er schildert das Beispiel eines Umbaus eines Einfamilienhauses aus den späten 1940er-Jahren, in das eine junge Familie einziehen wollte.

Es lohnt sich, gut hinzuschauen

Im Falle des jungen Paares habe zunächst eine Firma eine pauschale Sanierung für sage und schreibe 90 000 Franken offeriert. «Dies bei einem Budget für den Umbau von rund 150 000 Franken!» Weitere Offerten seien dann deutlich günstiger gewesen.

Besonders in Gebäuden zwischen 1955 und 1965 müsse man als Handwerker wirklich hellhörig werden. Eine Probe zu entnehmen, könne ja auch heissen, eine Gefahr mit Sicherheit auszuschliessen – und man weiss Bescheid, falls später die Plättli im Bad oder der Boden in der Küche doch noch raus sollen.

Nach eingehender Untersuchung der Liegenschaft hätten schliesslich nur wenige Stellen saniert werden müssen, was Kosten von nicht einmal 3000 Franken verursacht habe, sagt Haller.

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